Bruno Cassirer
(*
12.
Dezember
1872
in
Breslau;
†
29.
Oktober
1941
in
Oxford
)
war ein
Verleger,
Galerist
und
Pferdezüchter in
Berlin.
Bruno Cassirer wurde als zweites Kind des jüdischen Ehepaares Julius
Cassirer
und seiner Frau Julcher (Julie) geboren. 1890 machte Cassirer sein
Abitur in
Berlin
am Leibniz-Gymnasium. Mit seinem Cousin
Paul
Cassirer
eröffnete er am 20. September 1898 in Berlin die Bruno & Paul
Cassirer, Kunst- und Verlagsanstalt in der ehemaligen
Viktoriastraße 35 nahe Kemperplatz. Die beiden Verlagsgründer waren
nicht nur Cousins sondern auch gleichzeitig Schwäger, da Bruno Pauls
Schwester Else (1873–1943) heiratete.
Zu
den wichtigsten Kontakten während den frühen Berliner Jahren zählten
die Maler und Grafiker
Max
Liebermann und
Max
Slevogt. Sie waren
Mitglieder der am 2. Mai 1898 gegründeten Künstlervereinigung
Berliner
Secession, durch die die
beiden Vetter viele bedeutende Persönlichkeiten des kulturellen
Leben Berlins kennen lernten. Auf Vorschlag des Präsidenten
Liebermanns und dem Mitglied
Walter
Leistikow wurden die
Cassirers als Sekretäre für die Secession berufen, was ihnen
nicht nur innerhalb der Vereinigung sondern auch auf dem Kunstmarkt
eine herausgehobene Position verschaffte. Ihre erste
Galerie-Ausstellung widmeten sie den Gemälden Max Liebermanns, die
zusammen mit Bildern von
Edgar
Degas und
Constantin
Meunier
gezeigt wurden.
In
den folgenden drei Jahren stellte sich die Kunst- und Verlagsanstalt
zum Hauptziel, die Kunstströmung des
Impressionismus beim
Publikum zu etablieren. Dazu konzentrierten sich die Vettern auf die
Werke von Slevogt, Liebermann und
Corinth,
die ihrer Meinung nach die künstlerische Avantgarde Deutschlands
darstellten.
Am 30.
August 1901 lösten Bruno und Paul ihr gemeinsames Unternehmen wegen
starker persönlicher Differenzen auf. Paul Cassirer führte die
Galerie und den Kunsthandel weiter, während Bruno Cassirer den
Verlag behielt, mit dem er in die Derfflingerstraße 15 in
Berlin-Tiergarten umzog. Beide Verleger beschränkten sich
gegenseitig bis 1908 auf ihren jeweiligen Unternehmensbereich. Nach
der Trennung brach Bruno Cassirer den Kontakt zur Secession
ab, wohingegen Paul weiterhin Mitglied war und 1912 Präsident der
Gesellschaft wurde. Allerdings unterstützte B. die Vereinigung
weiterhin moralisch durch seine 1902 gegründete Zeitschrift Kunst
und Künstler.
Die Aufteilung des Unternehmens hatte eine nachhaltige
Konkurrenzsituation der beiden Verleger zur Folge, die sich
besonders in den ersten Jahren der von Paul Cassirer ins Leben
gerufenen Pan-Presse bemerkbar machte. Dennoch ergänzten sich
ihre Verlagsprogramme zum Teil (speziell im Kunstbuchbereich) und
viele Künstler wie
Karl
Walser,
Rudolf
Großmann,
Hans Meid
aber auch Liebermann und Slevogt waren weiterhin bei beiden Verlagen
tätig.
Obwohl Slevogt ebenfalls mit P. Cassirer in Kontakt stand,
veröffentlichte er die meisten seiner Werke bei Bruno Cassirer, zu
dem der
Illustrator
eine enge Beziehung pflegte. Zu den wichtigsten hier
veröffentlichten Büchern, in denen er einen neuen Zeichstil
erprobte, zählten Märchen aus 1001 Nacht: Ali Baba und die
vierzig Räuber. Improvisationen (1903) sowie Sindbad der
Seefahrer (1907). Der Verleger selbst publizierte nicht nur die
Bücher des Künstlers, sondern brachte seine Ideen und Anregungen für
die Ausformung der Grafiken bei deren Entstehung maßgeblich mit ein.
1903 trat
Christian
Morgenstern als
literarischer
Lektor
in den Verlag ein, unter dessen Leitung die Zeitschrift Das
Theater erschien. Hier wurden insgesamt vier Bücher des Dichters
zu dessen Lebzeiten und fünf weitere aus seinem Nachlass
herausgegeben.
Von 1931 bis 1933 betrieb Bruno Cassirer das
Gestüt
Lindenhof nördlich von
Templin.[2]
Vor dem Kauf des Lindenhofs hatte Cassirer bereits ein Gestüt in
Damsbrück
betrieben. Seit 1899 hatte Cassirer die Liebe zum Pferdesport
entdeckt, und neben seiner Verlegertätigkeit erstklassige
amerikanische Pferde importiert und war damit zu einem der
bedeutendsten Traberzüchter Deutschlands avanciert. Von 1913 bis
1933 war er zudem eng mit der
Trabrennbahn Mariendorf
verbunden, als Investor und viele Jahre als Vorsitzender des
Betreibervereins. Überragende Vaterpferde auf Lindenhof waren
Colonel Bosworth und der Hambletonian-Sieger Walter Dear,
dessen erster Sohn Probst Trabrennsportgeschichte auf
internationaler Ebene schrieb. Cassirer verkaufte das Gestüt 1933.
An seine Stelle trat als Eigentümer bis 1945 sein langjähriger
Pferdetrainer und Freund
Charlie
Mills, mit dem Cassirer
offenbar ein Gentleman’s Agreement abschloss, demzufolge
Mills die offizielle Geschäftsführung übernehmen sollte, während
Cassirer weiter den eigentlichen Gestütsbetrieb leitete.[3]
Charlie Mills gewann als Fahrer 1934 mit Cassirers Pferd Walter
Dear den
Prix
d’Amérique in Paris.[4]
Lindenhof verfügte damals über 30 Mutterstuten.
1936 erschien das letzte Buch im Verlag Cassirer. Am 25. Februar
1937 wurde jüdischen Verlegern die Mitgliedschaft in der
Reichsschrifttumskammer (RSK)
entzogen. Ein Teil der Familie Cassirer emigrierte 1938 nach
Oxford,
wo Bruno Cassirers Schwiegersohn Günther Hell (George Hill) die
Tradition des Verlages weiterführte und das Unternehmen B. Cassirer
(Publ.) Ltd gründete. Das Bestreben B. Cassirers, den Verlag
zusammen mit seinem Lektor
Max Tau
in England wieder aufzubauen, scheiterte hingegen. Zu den ersten
englischsprachigen Büchern gehörten die Brief-Editionen von
Edgar
Degas und
Paul
Cézanne sowie
Paul
Gauguins Noa-Noa.
Ferner wurde hier das vollständige Werkverzeichnis der Grafiken
Goyas
verlegt. Der Verlag besteht bis heute, dessen Bücher von der Firma
Faber und Faber in London ausgeliefert werden.