Bartsch Alois. Am 13.
Januar 2002 versammelte sich trotz tiefen
Schnees auf dem Friedhof im
sauerländischen Brilon eine stattliche
Zahl von Männern und Frauen, die von nah
und fern gekommen waren, um eines Mannes
zu gedenken, der vor 20 Jahren hier seine
letzte Ruhestätte gefunden hat: Alois
Bartsch. Wer war dieser Mann, der
unvergessen ist und unvergessen bleiben
soll?
Alois
Bartsch wurde am 21. Juni 1902 in
Mittelsteine, Kreis Neurode, Grafschaft
Glatz/Schlesien, geboren. Nach dem Besuch
der Volksschule in Mittelsteine, der
Präparandie in Bad Landeck und des
Lehrerseminars in Habelschwerdt wurde er
ab 1. April 1930 Lehrer an verschiedenen
Orten in der Grafschaft Glatz, bis er 1939
zum Wehrdienst einberufen wurde. 1945
glücklich aus der Kriegsgefangenschaft
zurückgekehrt, mußte er 1946 mit seiner
Familie das Schicksal der Vertreibung aus
seiner geliebten Heimat erleiden. Er kam
in den Kreis Zeitz, wo er als
Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft
arbeitete. 1948 ging er unter widrigen
Umständen in den Westen und fand Aufnahme
bei Geistlichem Rat Georg Goebel in
Lippstadt, der sich als vertriebener
Priester aus der Grafschaft Glatz stark
für die Rechte und Belange aller
Heimatvertriebenen einsetzte. Es begann
eine fruchtbare Zusammenarbeit mit ihm.
Von
1949 bis 1955 war Alois Bartsch Lehrer in
Lippstadt und von 1955 bis 1960 Rektor der
St. Engelbert-Schule in Brilon. Seine
hervorragenden pädagogischen Fähigkeiten
wurden 1960 belohnt durch die Berufung zum
Schulrat in Xanten, ein Amt, das er bis
zur Pensionierung 1967 ausübte. Der
Ruhestand sollte sich aber schnell als
„Unruhestand“ entpuppen. Viele seiner
ehemaligen Kollegen suchten ihn an seinem
Alterssitz in Brilon auf, um durch seinen
breiten Erfahrungsschatz bereichert zu
werden. Die Weggefährten in der
Heimatarbeit fanden immer wieder den Weg
nach Brilon, wo Alois Bartsch mit ihnen
einen intensiven Gedankenaustausch
pflegte. „Von ihm wurden Anregungen und
Hilfen gern angenommen, war doch seine
Autorität keine künstliche, keine allein
auf seinen Ämtern fußende, sondern sie
entsprang dem Denken ebenso wie dem
unmittelbaren Erlebnis“ (Thomas
Horschler). Im „Ruhestand“ konnte sich
Alois Bartsch endlich mehr der großen
Begabung widmen, die ihm von Jugend an zu
eigen war, der Berufung zum
Schriftsteller. Schon in den 20er Jahren
arbeitete er journalistisch für
Tageszeitungen in der Grafschaft Glatz.
Seine
Erzählungen und Gedichte erschienen in
Heimatkalendern und -zeitschriften, z.B.
im „Guda Obend-Kalender“, und wurden gern
gelesen. Nach der Vertreibung gründete er
1949 gemeinsam mit Geistl. Rat Georg
Goebel den „Grafschafter Boten“ und damit
ein Stück Heimat für die nun heimatlosen
und heimwehkranken vertriebenen
Grafschafter. In der Sorge um die in alle
Himmelsrichtungen verstreuten Landsleute
schuf er im gleichen Jahr das Grafschaft
Glatzer Jahrbuch „Grofschoaftersch
Häämtebärnla“, das nun bereits im 55.
Jahrgang für das Jahr 2003 erscheinen ist.
Der „Grafschafter Bote“ ist heute die
größte schlesische Heimatzeitung dieser
Art. Alois Bartsch war über Jahrzehnte bis
kurz vor seinem Tode Schriftleiter und
Herausgeber dieser Publikationen, die das
„Grafschafter Volk“ zusammenführten und
zusammenhielten. Tausende folgten den in
„ihrer“ Zeitung veröffentlichten
Einladungen zu Treffen, Heimatfahrten und
Wallfahrten. Wo immer er konnte, nahm
Alois Bartsch daran teil.
Er war
ein willkommener Gast, gern gesehen und
gehört als Referent; denn indem er mit den
Menschen zusammenkam, die ihn in die alte
Heimat zurückversetzten, verstand er es,
ihnen Kraft und Trost, ja, „Heimat“ zu
vermitteln. Dabei halfen ihm sein
unerschütterlicher Humor und die
Beherrschung der Grafschaft Glatzer
Mundart, der „Muttersprache“ der
Grafschafter.
Und
seine Bücher und Aufsätze?
„Richtungweisend sind für die Leser
des ,Grafschafter
Boten’ immer die Leitartikel geblieben, in
denen Alois Bartsch das Bewußtsein für
aktuelle Zeitfragen ebenso weckte wie er
die Menschen zur aktiven
Auseinandersetzung mit der Politik
aufforderte“ (Thomas Horschler).
Seinem umfangreichen literarischen
Schaffen sind u.a. zu verdanken:
die fünfbändige Dokumentation „Die
Grafschaft Glatz – Deutschlands Erker,
Gesundbrunnen und Herrgottswinkel“,
volkskundliche Ausarbeitungen unter den
Titeln „Die goldene Schnur geht um das
Haus“, „Alle Wege führen in die Heimat“,
„Die Mundart der Grafschaft Glatz“, die
Gedichtsbände „Am Tor der Zeit“, „Bei ons
derhääme“ und „Häämte, liebe, goldene
Häämte“, ein Singspiel „Der Oschatoop“ und
ein Stück über die Grafschafter in der
Ferne „A Zoaspel aale Bekannte aus’m
gleetzscha Lande“. Als bedeutendster
zeitgenössischer Poet der Grafschaft Glatz
wurde Alois Bartsch schon 1952 in den
„Wangener Kreis“ aufgenommen, der sich der
Förderung von Literatur und Kunst aus dem
deutschen Osten verschrieben hat.
Es
können kaum alle Aktivitäten aufgezählt
werden, die Alois Bartsch für Schlesien,
die Grafschaft Glatz und die vertriebenen
Landsleute entwickelt hat. 1950 war er
Mitbegründer der Landsmannschaft Schlesien
Nordrhein-Westfalen und der „Volksgruppe
Grafschaft Glatz“, aus der die heutige
„Heimatgruppe Grafschaft Glatz
e.V.“ entstand. 1953 wurde er von
Vertretern der Stadt Neurode und der
Gemeinden des Kreises Neurode zum
Vorsitzenden der Neuroder Kreisversammlung
gewählt. Ein gutes Verhältnis zur
Patenstadt von Stadt und Kreis Neurode,
Castrop-Rauxel, lag ihm sehr am Herzen.
Zu
einem großen Teil ist es ihm zu verdanken,
daß diese Patenschaft weit über die
Grenzen Nordrhein-Westfalens hinaus als
vorbildlich anerkannt wurde. Stets
forderte er dazu auf, „hinter jeden Alten
einen Jungen zu stellen“, was ihm
weitgehend gelang. Georg Hoffmann, der
heutige Vorsitzende der Heimatgruppe
Grafschaft Glatz e.V. und der Neuroder
Kreisversammlung wurde schon frühzeitig
von ihm als Nachfolger herangebildet, und
seinen Enkelsohn Thomas Horschler
befähigte er, die Schriftleitung des „Grafschafter
Boten“ zu übernehmen, als er 1982 die
Feder für immer aus der Hand legen mußte.
Alois Bartsch war Mitglied in der
Schlesischen Landesversammlung und
Heimatkreis-Vertrauensmann, Ehrenmitglied
des Glatzer Gebirgsvereins Berlin von 1903
und Ehrenvorsitzender der Neuroder
Kreisversammlung.
Leben
und Wirken von Alois Bartsch sind nicht zu
denken ohne sein intensives
Heimaterlebnis, dessen Dominanz für jeden
– auch Jahrzehnte nach der Vertreibung –
noch zu spüren war, und ohne seinen
unerschütterlichen Glauben, der festen
Verwurzelung in der christlichen Lehre.
Sie waren das Fundament, auf dem Alois
Bartsch stand, die Quelle, aus der er
immer wieder neuen Lebensmut geschöpft
hat. Mit diesem Mut war er Streiter für
die Sache der Heimatvertriebenen, beliebt
als Dichter, geschätzt als sachkundiger
Chronist des schlesischen Volkstums,
anerkannt als Pädagoge. Buchstäblich bis
zur letzten Stunde war sein Leben ein
Kampf um die Heimat Grafschaft Glatz, um
mehr Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Er
wurde ausgezeichnet mit dem päpstlichen
Orden „Pro ecclesia et pontifice“, mit dem
Bundesverdienstkreuz am Bande und dem
Schlesierkreuz. Ehrenteller an den Wänden
seines Heimes zeugten von der Anerkennung
seines unermüdlichen Einsatzes für andere
Menschen. Ein Dank sei an dieser Stelle
auch seiner Grafschaft Glatzer Frau
Hildegard ausgesprochen, die ihn in diesem
Einsatz begleitete.
Bei
aller Härte, die Alois Bartsch und seine
Familie betroffen hat, verlor er nie
seinen bodenständigen Humor und seine
väterliche Wärme, mit denen er anderen,
besonders den heimatvertriebenen
Grafschaft Glatzern, einen ruhenden Pol im
rastlosen Leben bot. Wie könnten sein
Wesen und Verdienst besser gewürdigt
werden, als mit dem Titel, den ihm seine
Grafschafter ganz spontan voller
Hochachtung und aus dankbaren Herzen
verliehen haben: „Vater der Grafschafter“!
Quelle; " Kulturstiftung der
deutschen Vertriebenen. "